Logopädische Therapie bei Mutationsfistelstimmen
Was ich an meinem Beruf besonders spannend finde, ist mitunter die Behandlung logopädischer Störungsbilder, welche wir am Kantonsspital in Aarau selten behandeln.
So stellte sich kürzlich ein 16-jähriger Patient mit einer Mutationsfistelstimme bei mir vor. Nach dem Durchlesen des Berichts der Phoniaterin habe ich mich in meinem Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie schlau gemacht. Die dort beschriebene Definition war mir noch geläufig: „Trotz morphologisch abgeschlossener Pubertätsentwicklung im Kehlkopfbereich besteht die Tendenz, die Kinderstimmlage beizubehalten; es liegt also eine rein funktionelle Fehlleistung vor“.
Beschrieben wird eine starke Anspannung der Stimmlippen aufgrund einer übermässigen Kontraktion der Mm. Cricothyroidei. Zudem sollen psychische Faktoren eine Rolle spielen: Die Patienten sind häufig Einzelkinder mit einer zu engen Bindung zur Mutter oder Abneigung gegen den Vater. Des Weiteren kann eine gewisse Furcht vor dem Erwachsenwerden eine Rolle spielen.
Im Internet habe ich ein Video gefunden, welches mir weiteren Einblick (wenn auch etwas oberflächlich) gewährt:
http://www.prosieben.de/tv/galileo/videos/mein-leben-mit-piepstimme-clip
Abschliessend zur Recherche tauschte ich mich mit einer Kollegin aus dem Sing- und Stimmzentrum in Schlieren aus, welche mir weitere Tipps geben konnte.
Auch mein Patient ist ein Einzelkind. Die Terminsuche lief über die Mutter und gestaltete sich eher schwierig. Ich war erstaunt, als er dann alleine zum ersten Termin erschien und ziemlich offen war. Die Initiative, nun nach zwei Jahren endlich etwas zu unternehmen ging jedoch klar von der Mutter aus. Der Patient selber hat sich daran gewöhnt, dass seine Stimme hoch, brüchig und heiser ist. Die Anamnese und Diagnostik zeigte, dass die mittlere Sprechstimmlage um eine Oktave erhöht ist. Sie ist heiser (R1B0H1) und kippelnd. Der erhöhte Druck ist hörbar, die Atmung und Tonhaltedauer normal. Die Steigerungsfähigkeit der Stimme sowie die Lautstärke sind eingeschränkt.
Erste Versuche, die Stimme zu senken, klappten auf Anhieb und brachten bereits ein ziemlich gutes Ergebnis. Den in der Literatur beschriebenen Bresgen-Handgriff musste ich nicht anwenden. Der Patient war nach dem Anhören der unterschiedlichen Tonaufnahmen erstaunt. Er befand die tiefere Stimme als gelöster, einfacher. Dennoch fügte er gleich an, dass dies nicht seine Stimme sei und er nicht einfach so auf diese wechseln könne. Ich erklärte ihm, dass sein Kehlkopf dafür bereit wäre, er sich aber die Zeit nehmen könne, sich in der Therapie und zu Hause an die „neue“ Stimme zu gewöhnen. Der Patient verliess mit einer anatomisch erklärten Diagnose, vielen Tipps zur Stimmhygiene und ersten Übungen zur Senkung der mittleren Sprechstimmlage sowie zur Lockerung des Kehlkopfes/des gesamten orofacialen Bereiches die Therapielektion.
Ich bin sehr gespannt auf die weitere Entwicklung und auch irgendwie gerührt, den Patienten ein Stück auf seinem Weg zum Erwachsenwerden begleiten zu dürfen. Einmal mehr bin ich beeindruckt wie fest Persönlichkeit und Stimme zusammenhängen. Ich frage mich, ob die logopädische Therapie alleine den Erfolg bringen wird oder ob zusätzlich eine Psychologin einbezogen werden muss.
Was habt ihr für Erfahrungen mit diesem Störungsbild? Welche Übungen und Elemente waren besonders hilfreich? Wie lange war eine logopädische Therapie notwendig? Fand diese in Kombination mit einer Psychotherapie statt? Über Anregungen würde ich mich sehr freuen.
Esther Zürcher
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Mutationsstimmstörung
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